Schreiben, Biografie, Lebensgeschichten
Impuls-Talk mit Claudia Riedler-Bittermann
21.09.2022, Madeleine Brosch & Barbara Lamb & Claudia Riedler-Bittermann
Wir freuen uns, dass du uns deine Meinung zum Blogbeitrag schreibst. Gerne lesen wir den Kommentar als Erster, dann wird er für alle LeserInnen freigeschaltet.
Liebe Claudia, als Biografin hältst du Lebensgeschichten in Wort und Schrift fest. Außerdem gibst du Workshops für biografisches Schreiben. Auf deiner Website sagst du: „Ich schreibe für mein Leben gern. Übers Leben.“ Wie bist du dazu gekommen, als Biografin zu arbeiten? Gab es einen ausschlaggebenden Moment, in dem dir bewusst wurde, dass das deine Berufung ist?
Lebensgeschichten haben mich immer schon interessiert. Bevor ich mich selbstständig machte, habe ich bei den OÖ Nachrichten lange als Journalistin im Ressort Leben und Gesundheit gearbeitet. Vor 15 Jahren hat mich dann ein Bekannter gefragt, ob ich eine Biografie für seinen kranken Bruder schreiben kann. Das war mein erstes Projekt und etwas ganz Besonderes für mich. Anschließend habe ich Weiterbildungen rund ums Biografieschreiben gemacht und gemerkt, dass das Schreiben von Biografien genau meines ist. Ich arbeitete weiter bei den OÖ Nachrichten und schrieb nebenbei die ersten Biografien. Erst als ich mich bewusst für den Job als Biografin entschieden habe und mich darauf auch vollkommen fokussiert habe, startete ich in die Selbstständigkeit durch. Anschließend sind die Aufträge gekommen und ich habe begonnen, auch vermehrt Workshops anzubieten.
Biografien zu schreiben, galt lange Zeit als verstaubt bzw. als etwas für reiche oder prominente Menschen. Heute scheint es einen regelrechten Biografietrend zu geben? Wie ist es dazu gekommen?
Wir leben in einer unfassbar schnelllebigen Zeit. Der Rückblick auf das eigene Leben hat einen ganz anderen Wert bekommen. Viele meiner Kund:innen erzählen mir nach der Fertigstellung der Biografie, dass sie endlich den roten Faden im Leben erkennen – vom Anfang bis ins jetzt. Außerdem sehen sie die Entwicklungen im Leben und haben im Nachhinein die einen oder anderen Aha-Erlebnisse. Auch für die Nachkommen sind die Lebensgeschichten sehr spannend. Ein Grund, warum oftmals Kinder oder Enkelkinder die Biografie in Auftrag geben und den Eltern oder Großeltern schenken.
Wie entstehen die Biografien, mit denen du beauftragt wirst?
Für eine Biografie führe ich zwischen fünf und acht Interviews und dazwischen machen wir rund zwei Wochen Pause. Nach dem Kennenlernen beginne ich normalerweise mit der Frage: „Was ist das Erste, an das Sie sich erinnern?“ Als Antwort kommt meistens eine prägende Erinnerung aus der Kindergarten- oder Volksschulzeit. Denn im Normalfall starten die eigenen Erinnerungen nicht bei der Geburt, sondern rund um das vierte oder fünfte Lebensjahr. Die Zeit davor fällt unter Kindheitsamnesie. Dann folgen Jugend und junges Erwachsenenleben. In dieser Zeit werden wichtige Weichen fürs Leben gestellt – Ausbildung, Beruf, Ehe, Kinder. Gedanklich gehen wir auch zurück zu den Vorfahren – zu den Eltern, Großeltern und weiteren wichtigen Personen aus unserem Leben. So arbeiten wir uns Schritt für Schritt durchs Leben und die Erinnerungen. Anschließend versuche ich, die ganzen Rückblicke chronologisch zu ordnen. Dabei sind nicht nur die Geschichten und Menschen ganz unterschiedlich und individuell, sondern auch die Herangehensweise an die Biografie. Ich schreibe fast alles nieder, was die Person erzählt. Die Kunst ist es, die Erzählungen in Kapitel und eine Struktur zu bringen.
Wie gehst du mit schwierigen Erinnerungen und dunklen Zeiten in Lebensgeschichten um?
Bei diesen Themen ist Fingerspitzengefühl gefragt. Als Biografin formuliere ich die Lebensgeschichte so, dass sich auch die Nachkommen damit wohlfühlen. Deshalb sind Rachegeschichten auch ein absolutes No-Go für mich. Ich erfahre sehr viel über die Familie und natürlich auch, wo es etwaige Probleme gab und noch immer gibt. Was ich jedoch nicht mache, ist, in Wunden zu bohren. Nicht zu vergessen: Die Biografie beschreibt nur die Erinnerung einer einzelnen Person. Deshalb steht am Beginn des Buches auch folgender Hinweis: „Dieses Buch hat keinen Anspruch auf Wahrheit, sondern ist eine subjektive Erinnerung einer Person.“
Was zeichnet eine gute Biografie aus?
Egal ob Rezepte aus der Kindheit oder eine frühere Wohnsituation – spannend sind auch der Alltag und die Details in der Lebensgeschichte, nicht nur die Höhepunkte. Wie war das Leben mit Geschwistern? Gab es Tiere? Was war die erste Fernsehsendung? Das sind Erinnerungen, die die Biografie bunt und lebendig machen.
Kannst du uns von der schönsten Reaktion einer Kundin oder eines Kunden nach der Fertigstellung einer Biografie erzählen?
Ich werde öfters zu Geburtstagsfeiern eingeladen, um das Buch zu präsentieren, das freut mich natürlich immer sehr. Das schönste Kompliment bekam ich aber von einer Kundin, die zu mir sagte: „Ich habe beim Buchlesen meine Oma reden gehört.“ Da wusste ich, ich habe mein Ziel erreicht. Schlussendlich geht es ja bei einer Biografie um die Person.
Du hast den Club der lebenslustigen Biograf:innen gegründet. Was hat dich dazu bewogen, Workshops zum biografischen Schreiben anzubieten?
In der Vergangenheit habe ich schon viele One-on-one-Coachings für Biografieschreibende gemacht. Die sind jedoch sehr aufwendig und zeitintensiv. Irgendwann dachte ich mir: Warum nicht einen Club daraus machen? Jetzt starte ich im Oktober mit einer feinen, kleinen Gruppe an schreibbegeisterten Menschen diesen Club. Ein Jahr lang begleite ich die Teilnehmer:innen auf ihrem Weg zur eigenen Biografie. Einmal im Monat treffen wir uns im Café Freudig und bei jedem Termin gibt es einen Impuls fürs Schreiben. Außerdem können die Teilnehmer:innen etwas vorlesen, wir reden über ein Thema rund ums Biografieschreiben und vor allem wachsen wir gemeinsam.
Welche Fähigkeiten muss man mitbringen, um biografisch zu schreiben?
Um biografisch zu schreiben, braucht man wirklich gar nichts mitbringen – außer die eigenen Erinnerungen und Freude am Schaffen und Tun. Wir arbeiten ganz unkompliziert und ohne Druck. Das bedeutet unter anderem: keine Angst vor Rechtschreibfehlern. Das Wichtigste ist, seinem Stil treu zu bleiben. So entstehen die schönsten, ehrlichsten und wertvollsten Biografien.
Wie beginnt man als Schreibanfänger:in, die eigene Biografie schriftlich festzuhalten? Welche Tipps kannst du uns und unseren Blogleser:innen diesbezüglich mitgeben?
Entscheidend ist es, den ersten Schritt zu machen und einfach anzufangen. Manchmal überfordert einen der Gedanke an so viel Text. Deshalb gilt: nicht zu viel darüber nachdenken, sondern einfach drauflostippen. Es ist am besten, intuitiv zu schreiben, was einem am Herzen liegt und an was man sich erinnert. Außerdem sind Anekdoten für Selbstschreiber:innen der beste Einstieg in die Welt der Biografien. Eine Biografie muss auch keinesfalls die komplette Lebensgeschichte erzählen. Auch Lebensabschnitte wie die Jugend, eine Ehe oder eine Zeit im Ausland können in einer Biografie aufgearbeitet und niedergeschrieben werden. Für Senior:innen ist es allerdings meistens schön, die ganze Lebensgeschichte in Wort und Bild vor sich zu sehen.
Impuls-Wordrap
Ich bin ... Biografin.
Mein liebstes Kommunikationsmittel ... Bücher.
Das hab ich immer dabei ... Notizbuch und Handy.
Das würde ich gerne erfinden ... Beamen. Dann würde ich mich hin und her beamen.
Mein Tipp für Work-Life-Balance ... Freie Zeiten in den Kalender eintragen.